Folge 5 und 6

03.09.18: Folge 5: „Operation Fénix“ im Jahr 2016

Auch im Winter 2015/2016 suchte die Polizei noch nach Lukas Borl, den „gefährlichen und bewaffneten“ Anarchisten, welcher seit Sommer 2015 im Untergrund lebte. Deswegen verhörte die Polizei eine Menge Menschen, wobei sie wiederholend den rechtlichen Rahmenihrer Tätigkeiten überschritt (eine Person wurde beispielsweise von zu Hause mit dem Zivilwagen aus der Stadt entführt, in der Dunkelheit verhört und massiv unter Druck gesetzt). Im Frühling 2016 wurde ein falsches Facebook-Konto unter dem NamenLukas Borl“ angelegt und es wurde die lächerliche Info, Lukas hätte mit Nazis und der Polizei gearbeitet, verbreitet. Lukas selbst schrieb über die polizeiliche Provokationen:

Wir müssen vorsichtig sein und dürfen uns nicht von den Feinden ködern lassen. Dass sie es überhaupt versuchen, uns zu ködern, ist ein gutes Signal. Sie haben Angst vor uns. Sie wollen uns zunichte machen, weil wir ihre Welt der Ausbeutung und der Unterdrückung zunichte machen wollen.

Am 5. April 2016 führte die Polizei ohne Erlaubnis eine Razzia in der Wohnung unserer Genoss*innen in Prag durch und suchte Lukas. Am nächsten Tag wurde wieder eine unerlaubte Razzia durchgeführt, dieses Mal in einer Wohnung in Brno. Bei dieser Razzia wurde einer der Agenten von den Genoss*innen erkannt, welcher die anarchistische Gruppe VAP infiltrierte. Lukas wurde nicht gefunden.

Am 26. und 27. April 2016 kam es zum ersten rechtlichen Gehör. Der Fall von Igor Sevcov (siehe Folge 4) wurde wegen Beweismangel geschlossen. Trotzdem bekam Igor eine Strafe für die Beteiligung an einem solidarischen Graffiti an einer Knastmauer. Obwohl Igor in Russland wegen seiner politischen Tätigkeiten gefährdet ist und strafverfolgt wird, verurteilte ihn das Gericht zur Abschiebung nach Russland und zum zweijährigen Landesverbot für die Tschechischen Republik. Nachdem der Staatsanwalt eine Haftstrafe von 4-8 Monaten und die Abschiebung forderte, lag Igor Berufung ein.

Martin Ignacak hätte am 29. April 2016 entlassen werden können. Allerdings lag die Staatsanwalt gegen die Entlassung Widerspruch einerfolgreich. Martin musste im Knast bleiben. Seine Schwester, welche sich immer stark für ihn einsetzte, wurde von der Polizei extrem dämonisiert. Die Polizei bezeichnete sie als „Anarchistin“ und als „Hauptinitiatorin und Organisatorin der unangemeldeten anarchistischen Demonstrationen.“ Dazu Pavla, die Schwester von Martin Ignacak, dazu:

Nur, weil wir jemanden verteidigen, uns für jemanden einsetzen, eine eigene Meinung haben und diese offen ausdrücken, sind wir gleich alle Anarchist*innen? Ist das in Ordnung? Ist es nicht sogar höchste Zeit, uns zu verteidigen? Ich stellte mir selbst diese Fragen und dann habe ich es verstanden: es ist genau das, was sie wollen. Den Menschen zu diskreditieren.

Am 9. Juni begann Martin Ignacak mit einem Hungerstreik im Knast. Er protestierte gegen die „Operation Fénix“, gegen seine U-Haft und gegen seine strengen Haftbedienungen. Er beendete den Hungerstreik nach 10 Tagen.

Das Oberste Gericht änderte am 20. Juli 2016 die Bestrafung von Igor. Anstelle der Abschiebung sollte er drei Jahre an keiner Veranstaltung teilnehmen, welche die Polizei als „anarchistisch“ bewertete. Die Polizei nutzte, in der Zusammenarbeit mit dem „Probationsdienst“, diese Maßnahme, um Igors Leben zu kontrollieren. Regelmäßig recherchierten sie auf der aktivistischen Webseite „radar.squat.net“ nach Aktionen, um diese dann für Igor zu verbieten.

Im August 2016 fand das zweite und dritte Gehör mit den verfolgten Anarchist*innen statt.

Am 31. August 2016 führte die Polizei wiederholt eine Razzia in die Wohnung in Prag durch, in welcher sie auch schon im April war. Wieder ohne Erlaubnis, wieder ohne einen Erfolg für sie – Lukas wurde nicht gefunden.

Am 4. September 2016 wurde Lukas nach einem Jahr des Lebens im Untergrund in seiner Geburtsstadt Most festgenommen. Er wurde verhaftet und für mehrere Straftaten angeklagt: Erpressung, Brandanschläge sowie „die Gründung, Unterstützung und Propagierung der Bewegung, welche die Unterdrückung der Menschenrechte und der Freiheit abzielt“. Über seine Haftsituation schrieb Lukas u.a:

Als Anarchist war mir die Möglichkeit, festgenommen zu werden, immer bewusst. Jedes Regime unterdrückt die Opposition mit solchen Mitteln. Jetzt bin ich in Haft, aber ich sehe es nicht als das Ende des Weges. Knast ist nur eine von vielen Stufen, die revolutionäre Personen durchgehen können. Es ist nicht das Ende. Nur eine Veränderung des Geländes, auf welchem ich jetzt weitere Kämpfe gegen die Unterdrücker*innen führen werde. Es freut mich, dass ich diese Kämpfe nicht allein führen muss, sondern mit anderen Anarchist*innen. Mit denen, welche verstehen, dass der Kollektivkampf die einzige Lösung aus dem Sumpf des Kapitalismus ist.“

Am 27. September 2016 wurde Martin Ignacak nach 17 Monaten aus dem U-Knast entlassen, weil das Verfassungsgericht seine Haft als rechtswidrig und nicht genug begründet empfand.

Im Herbst und im Winter 2016 fanden weitere Gehöre im Rahmen der „Operation Fénix“ statt. Fünf Anarchist*innen wurden für das Planen eines Terrorangriffes auf den Zug angeklagt.

Auch im Jahr 2016 organisierten unsere Genoss*innen weltweit solidarische Unterstützung der verfolgten Anarchist*innen in der Tschechischen Republik. Es wurden Spenden, Kundgebungen, Demonstrationen organisiert.

Manche Formen der Solidarität hatten auch einen militanten Charakter (z.B. Brandanschläge an Polizeiwagen). Diese führten teilweise zu scharfer Kritik, manche distanzierten sich deswegen von den Fénix Betroffenen und vor allem (auch aufgrund der Angst vor weiterer Repression) spaltete sich deswegen die antiautoritäre Bewegung. Manche Personen glaubten auch, die militante Solidarität wäre wieder eine polizeiliche Provokationstrategie, mit dem Ziel, die anarchistische Szene wieder zu kriminalisieren.

Das SRB (Sit revolucnich bunek, Netz der revolutionäre Zellen) schrieb dazu:

Mit der Verneinung und der Relativierung der Tatsache, dass es die Bestrebung, welche die Existenz des Staates, der Polizei und des Kapitals umwühlt, gibt, dass es die Bestrebung, die Verteidigungsmöglichkeiten gegen ihre anscheinbar unbegrenzte Macht zu zeigen gibt, setzen wir uns der Gefahr aus, dass wir die wirklich freigeistigen Bestrebungen für eine andere Welt als der, in welcher wie leben, verneinen. Und die Idee, dass solch andere Welt möglich ist.

Links:

 

05.09.18: Folge 6: „Operation Fénix“ im Jahr 2017

Ich war überrascht, dass die Taktik der tschechischen Polizei nicht so anders als die Taktik der russischen Polizei war.“ (Igor Sevcov)

Im Jahr 2017 musste unserer Genosse Igor Sevcov weiter unter den Angriffen des tschechischen Staates leiden. Die erste Welle der Repression ( „Fénix 1“) und der Prozess gingen langsam zu Ende. Es folgte die zweite Welle der Staatsgewalt, „Fénix 2“.

Fénix 2“ – Igor Sevcov

Am 20. Juli 2016 wurde die Strafe Teilnahme bei Sachbeschädigung“ (für die Beteiligung an einem solidarischen Graffiti) vollstreckt, welche ein dreijähriges Verbot für „anarchistische Veranstaltungen“ für Igor vorsah. DerProbacni a mediacni sluzba“ (PMS; Dienst der Probation und der Mediation) recherchierte, zusammen mit dem „Extremismusexperten“ Miroslav Mares, Veranstaltungen, welche auf der Seite https://radar.squat.net publiziert wurden, um Igor anschließend, mit der Hilfe der Zivilbullen von „Narodni centrala proti organizovanemu zlocinu“ (Nationaler Zentrale gegen Organisierte Kriminalität, NCOZ), Verbote für von ihnen als „anarchistisch“ gelesene Veranstaltungen auszusprechen (siehe Folge 5). Vor allem im Januar und Februar 2017 händigten sie Igor lange Listen mit verbotenen Veranstaltungen und Events aus. Um zu kontrollieren, ob Igor an den für ihn verbotenen Veranstaltungen teilnahm, überwachten und dokumentierten sie jeden Schritt von ihm. Vor allem aus der daraus resultierenden Isolation aus der Szene litt Igor sehr.

Im Endbericht von PMS war dann tatsächlich zu lesen, dass Igor seit Sommer 2016 drei von PMS nicht erlaubte Events besuchte, wodurch für ihn erneut die Gefahr der Abschiebung im Raum stand (tschechisches Recht besagt, dass eine Abschiebung möglich ist, wenn die Strafe vom Betroffenen selbst „behindert“ wird).

Diese Gefahr wurde noch offensichtlicher, als Igors Arbeitsvisum, wegen der Verurteilung, nicht verlängert wurde. Die Möglichkeit, das Visum für das Studium zu verlängern, verlor Igor im Jahr 2016, als er im U-Knast war.

Als Igor am 23. Februar 2017 das Innenministerium besuchte, um noch einmal zu versuchen, sein Visum zu lösen, wurde er festgenommen und für mehrere Stunden verhaftet. Seitdem und bis heute läuft Igors Abschiebungsprozess.

Im März 2017 wurde Igor keine Liste mit verbotenen Terminen ausgehändigt, trotz dessen wurde er von Zivilbullen bei einem Besuch des Soziales Autonomes Zentrum „Klinika“ fotografiert. Im April 2017 musste sich Igor an den Tagen, an welchen „verbotene Termine“ für ihn ausgesprochen wurden, zweimal pro Tag bei der Polizeistation melden – wodurch er dort im April mehrere Stunden verbrachte. Am 11. Mai 2017 räumte der Oberste Gerichtshof ein, dass die Verurteilung Igors für die Beteiligung am solidarischen Graffiti „möglicherweise verfehlt“ sei. Im Juni 2017 zahlte der Staat über 14 000 Euro Entschädigungsgeld an Igor für eine verfehlte Verurteilung aus. Im August 2018 wurde Igor freigesprochen.

Trotz dieses Erfolges ist immer noch unklar, ob Igor in der Tschechischen Republik bleiben kann, oder ob er ausgewiesen wird, wie wir in der letzten Folge berichten werden.

Der Hauptprozess der „Operation Fénix“

Im Jahr 2017 lief der Gerichtsprozess der „Operation Fénix“ am Stadtgericht in Prag mit dem dritten (von 30. Januar bis 1. Februar), vierten (von 24. April bis 26. April) und fünften (von 6. September bis 8. September) Verhör weiter.

Am 22. September 2017 wurden alle angeklagten Genoss*innen am Stadtgericht im Prag freigesprochen. Der Staatsanwalt lag trotzdem Widerspruch am Obersten Gericht, mit der Forderung von Haftstrafen für Martin Ignacak und Petr Sova in der Höhe von zwölf Jahren, ein.

Fénix 2“ – Lukas Borl

Am 13. April 2017 wurde Lukas Borl entlassen. Zwei Monate später, am 10. Juni, wurden er und drei andere Personen neu angeklagt. Die Polizei konstruierte eine neue Gruppe, welche für 16 strafbare Taten beschuldigt wurde…

Dieser Gruppe sollten neben Lukas wohl auch Martin Ignacak und Petr Sova angehören. Mehr dazu in der nächsten Folge.

Auch im Jahr 2017 organisierten solidarische Menschen diverse Soliaktionen. Dazu folgende Links: