Folge 3 und 4

29. 08. 2018: Folge 3 „Operation Fénix“ im Frühling 2015

Zeigen wir, dass das Miteinander mehr ist als die Gesetze. Zeigen wir, dass die Solidarität in unseren Herzen lebt…“ (Martin Ignacak)

Wie schon in der zweiten Folge geschrieben, begann die „Operation Fénix“ am frühen Morgen des 28. April 2015 mit Razzien in der gesamten Tschechischen Republik. Unsere Genoss*innen berichteten:

Entweder dachte sich die Polizei irgendwelche ‚Fakten‘ aus oder sie vertuschte wichtige reale Fakten, damit sie die Erlaubnis zu den Hausdurchsuchen und den Haftbefehlen bekommen konnte.

Die tschechischen „(Links)Extremist*innenwurden in diesen Tag wiedergeboren: es wurde über die Razzien „gegen Extremisten“ geschrieben und gesprochen und dieser Begriff wurde im Lauf der „Operation Fénix“ immer wieder benutzt. Dazu merkte Lukas Borl, ein Betroffener der Razzien, an:

Der Staat hat Angst, dass Menschen durch die anarchistischen Ideen inspiriert werden könnten, deswegen verwendet er die Begriffe wie ‚Extremisten‘, damit er die emanzipatorische Idee des Anarchismus brechen kann. Der Staat will, dass die Anarchist*innen für die ganze Gesellschaft eine Gefahr darstellen. Wir sind gefährlich für den Staat, aber nicht für die, welche vom Staat gezwungen werden, sich zu beugen und sich einem unwürdigen Überleben im Kapitalismus anzupassen.

Die Nachrichten vom 28. April 2015 informierten außerdem über ein gefundenes „explosives System“ in einer Wohnung in Brno, weswegen dann eine ganze Platte „in der Nähe von einer Kita“ evakuiert wurde. Diese Evakuierung gab der „Operation Fénix“ einen besonderen „Glanz der Gefahr“.

Durch die Operation wurden auch die tschechische „Terrorist*innen“ geboren. Im Mai 2015 wurde klar, dass zwei staatliche Agenten die anarchopazifistische Gruppe (VAP – Voice of Anarchopacifism) infiltrierten, an Treffen teilnahmen und versuchten, die Gruppe zur Militanz zu bewegen, damit es einen Grund für die Repression gegen eine ganze Bewegung geben konnte.

Martin Ignacak schrieb im Brief aus dem Knast: Sie wollten den Terrorfall haben, so machten sie ihn.“

Der Rechtsanwalt von Martin ergänzte: Wenn mein Klient die polizeilichen Agenten nicht getroffen hätte, wäre er nie in diese Probleme gekommen.

Trotz polizeilichem Informationsembargo informierten die Medien noch lange nach dem 28.April 2015 über das „Hauptziel der Fénixaktion“: es sollte nicht nur um die Vernichtung eines Angriffes gehen, sondern vor allem die Entdeckung und Vernichtung einer aufständischen-anarchistischen Plattform (Gruppe Sit revolucnich bunek, kurz SRB, deutsch: die Vernetzung der revolutionären Zellen) wurden zum erklärten Ziel. Die Sabotagen und Brandanschläge gegen Polizei und Kapitalist*innen liefen aber im Frühling 2015 weiter, sogar mit erhöhter Frequenz.

Besonderes bitter und grausam war vor allem die Rolle der Medien bei der Belästigung der Verwandten unserer Genoss*innen. In einem Gespräch erzählte die Schwester von Martin Ignačák, wie sie erfuhr, dass ihr Bruder in den U-Knast kam und über ihre ersten Reaktionen:

Ich vernahm es erst, als mich eine Journalistin kontaktierte, die mir sagte, dass mein Bruder „ein Terrorist“ sei. In dem Moment war ich bei der Arbeit. Ich werde diesen Tag nie vergessen. Ich musste nach Hause gehen, die Verzweiflung holte mich ein. Ich wollte es zuerst meiner Mutter sagen. Es ist unmöglich zu beschreiben, welche Panik bei ihr diese Nachricht auslöste…“

Am Ende des Frühlings 2015 wurden drei Menschen für die Vorbereitung des Terrorangriffes beschuldigt: Petr Sova, Martin Ignacak und Alexandra Scambova. Katarina Zezulova und Radka Pavlovska wurden dafür beschuldigt, von dem Plan angeblich gewusst, ihn aber bei der Polizei nicht gemeldet zu haben. Ales Koci wurde für nicht erlaubten Besitz von Waffen beschuldigt. Wie schon in Folge 2 geschrieben, saßen Martin, Petr und Ales im U-Knast.

Wichtig ist zu bemerken, dass, kurz bevor die Operation Fénix startete aber auch noch danach, die Bewegung viele Erfolge verzeichnen konnte. So wurde zum Beispiel das von Räumung bedrohte Hausbesetzer*innen Projekt „Autonomes Soziales Zentrum Klinika“ bekannt und erfuhr die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit.

Auch die solidarischen Netze „Mostecka solidarni sit“ aus der Stadt Most und „Prazska solidarni sit (SOL!S)“ aus Prag wurden teilweise in ihren Arbeitskämpfen erfolgreich und Anfang 2015 bekannt für ihre radikale Kampagne gegen Ausbeutung.

Im Mai 2015 kam es auch zu einer Welle der Solidarität mit den angegriffenen Genoss*innen und es wurde ein solidarisches Antirepressionskollektiv, „AntiFenix“, gegründet. Der Infokanal Antifenixblog läuft seit dem 07. Mai 2015 und veröffentlicht immer noch aktuelle Informationen über die „Operation Fénix“.

Sie wollen uns zum Schweigen bringen, sie werden uns nicht zum Schweigen bringen. Sie wollen uns brechen, sie werden uns nicht brechen. Unsere Körper können sie verhaften, aber unsere Träume, Gedanke und den Geist nicht.(Martin Ignacak in einem Brief aus dem Knast)

Video der spontanen solidarischen Aktion am Knast

 

01.09.18: Folge 4: „Operation Fénix“ zwischen Juni und Dezember 2015

Es ist unglaublich wie weit die Polizei geht, damit sie in der Öffentlichkeit Angst vor den bösen Anarchist*innen produzieren kann. Sie nehmen fest und verhaften, wen sie wollen.“ ( Martin Ignacak in einem Brief aus dem Knast)

Am 26. Juni 2015 wurde unser Genosse Igor Sevcov, ein Anarchist mit russischer Staatsangehörigkeit, verhaftet und für einen Brandanschlag auf das Haus des tschechischen Verteidigungsministers Stropnicky beschuldigt. Ohne tatsächliche Beweise für die Tat wurde Igor unter strengsten Haftbedienungen gehalten, trotzdem schrieb er aus dem Knast:

Ich weiß, dass manche sich in viel schlimmeren Situationen befinden und es viel schwerer haben als ich. Ich denke daran und das hilft mir.

Am 9. Juni 2015 wurde Ales, einer von den vier gefangenen Anarchisten, entlassen. Neulich wurde er aber für eine andere Tat beschuldigt: für den illegalen Waffenbesitz (anstatt der Teilnahme bei der „Terrorangriffsvorbereitung“). Ales wurde nach mehrere Monaten in diesem Punkt verurteilt und mit der temporären Überwachung bestraft.

Ende des Sommers 2015 ging der Anarchist Lukas Borl in die Illegalität, weil er und seine nahen Menschen von der Polizei permanent verfolgt und belästigt wurden. Lukas sagte dazu:

Ich will mich lieber verbergen statt im Knast oder in der Nervenklinik zu sitzen. Ich sehe vor mir jetzt nur diese drei Möglichkeiten und aus diesem Grund ist mein Wahl klar. Verschwinden so lang es noch möglich ist.

Am 25. September wurde Igor Sevcov (nachdem er eine Kaution bezahlte) entlassen. Petr und Martin blieben immer noch im Knast. Martin schrieb in einem im Brief:

Wir leben auf keinem Fall in einem freiem Land, es ist eine stille Diktatur. Wirklicher, aber wirkungsloser Stil einen Mensch zum Schweigen bringen.

Am 2. Dezember 2015 war Petr Sova wegen „prozeduralen Fehlern“ entlassen worden (der Staatsanwalt hatte nicht pünktlich genug die Anforderung erteilt, dass die Haftzeit von Petr verlängert werden sollte). In einem Gespräch erzählte er über die Rolle der polizeilichen Agenten:

Die Menschen in der Bewegung hießen sie mit einem Kuss auf der Wange (die Agenten, die Anmerkung Übersetz.*kollektiv) willkommen und falls sie etwas brauchen wurden, könnten sie (die Menschen der Bewegung) für sie (für die Agenten) alles tun. Und sie (die Agenten) versuchten uns währenddessen lebenslang in den Knast stecken.“

Im Winter 2015 wurde das Profil von Lukas Borl als gesuchte Person von der Polizei veröffentlicht, er wurde vom Staat als „gefährliche und bewaffnete Person“ beschrieben. Mit der Verfolgung von Lukas fing eine neue Phase der „Operation Fénix“: Fénix 2.

Aus dem Untergrund meldete Lukas:

.Ich bin ein Anarchist und deswegen ein Rebell. Es bedeutet für mich viel. Unter anderem auch, dass ich durch den, gegen den ich rebelliere, gefährdet bin. Im Vergleich zu den anderen Rebell*innen haben wir es als Anarchist*innen komplizierter. Die Gefahr hängt über unseren Köpfen, egal zu welcher Zeit und an welchem Ort wir leben. In der Position als Kämpfer*innen gegen den Staat sind die Anarchist*innen ständig im Gefahr. Alle Anarchist*innen müssen mit dem Bewusstsein, dass ihre Existenz in jeden Moment den harten Schlag der Staatsrepression spüren kann, leben.“

Es fanden weiterhin zwischen Juli und Dezember 2015 in der Tschechischen Republik so wie auch in anderen Ländern (Schottland, Schweden, Russland, Deutschland, Österreich, Australien…) viele Aktionen der Solidarität mit den Menschen, welchen Fénix traf, statt: Soligraffitis, Infoveranstaltungen, Solipartys, Performances, Kundgebungen und Demos vor den Knästen in Prag (Martins Geburtstag wurde zum Beispiel vorm Knast gefeiert). In Rahmen der Antifénix – Solidarität wurden mehrere Autos der tschechischen Polizei verbrannt und eine Pelztierfarm angegriffen.

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