Folge 1 und 2

24.08.2018 Folge 1: „Keine Repression kann die Sehnsucht nach Freiheit stoppen!“

Prag, Tschechische Republik

Polizeiliche Repression und die Verfolgung der kritischen, antiautoritären und subversiven Bewegung waren in der Tschechischen Republik unter unterschiedlichen Regimen immer stark präsent und haben eine lange, blutige Geschichte. Auch nach der tschechischen Wende am Ende des Jahres 1989, die sogenannte „Samtene Revolution“, verfolgte das neue liberal-demokratische Regime die linksradikale und anarchistische Opposition. Trotzdem erlebten wir in den letzten Jahren eine ganz neue Welle der Staatsgewalt unter dem Namen „Operation Fénix“ in bisher noch nie gesehener und gehörter Form und Größe. In den Worten von Lukas Borl, eine von den Fénix betroffenen Personen:

Diese gegen die anarchistische Bewegung gezielte Kampagne wurde zum bestimmten Kipppunkt. Ein Wechsel von der dauerhaften milden Repression, zur starken Repression.“

Was passiert genau bei der „Operation Fénix“? Zwei staatliche Agenten, sogenannte „Agent Provocateur“, infiltrierten eine anarchistische Gruppe, erlangten Vertrauen und initiierten später die Planung eines Brandanschlags auf einen militärischen Panzerzug. Der Anschlag wurde nie realisiert, lediglich geplant. Sie bewegten die Gruppe also zur Militanz, zeichneten dabei jedes Treffen und jede Aktivität auf, sammelten „Beweise“ und als sie genug Material hatten, folgten massive Festnahmen und Terroranklagen wurden vorgelegt.

Die Polizei verhörte und zermürbte viele Menschen in den ersten Tagen der Repression. Diese hielt allerdings länger an, als gedacht. Vier Genossen saßen lange im U-Knast, einer von ihnen 17 Monate. Manche von unseren Genossin*innen verloren Jobs und/oder ihr Zuhause. Ihre Gesundheit wurde (im Knast) gefährdet und beschädigt. Die Freundeskreise und Familien der Betroffenen wurden massiv vom Staat belästigt, schikaniert und abgeschreckt. Viele Menschen wurden wiederholt verhört, unter Druck gesetzt, von der Polizei verfolgt und erpresst. Wohnungen wurden ohne Erlaubnis durchgesucht. Die gesamte repressive Welle durchzog sich drei Jahre lang. Am Ende wurden alle Angeklagte freigesprochen.

Vom Anfang an arbeiteten die Medien Hand in Hand mit dem Staat: bei der Konstruktion des „linkes Terrors“, bei der Dämonisierung und bei dem Kriminalisierung der anarchistischen Bewegung und unserer Genoss*innen. Die Konsument*innen der tschechischen Nachrichten wurden mit beängstigenden Titeln bombardiert und mit „den sensationellen, skandalösen Entdeckungen“ der „Operation Fénix“ jahrelang gefüttert.

In dieser Zeit versuchte der Staat den antiautoritären Widerstand zu spalten, den Wurm der Paranoia zu verbreiten und mit endlosen Monsterprozessen und mit langen Verhaftungen die aktiven Menschen zu brechen und andere abzuschrecken. Martin Ignacak schrieb im Brief nach einem Jahr im U -Knast über Fénix:

Die ganze ‚Fénix Operation‘ finde ich wie ausgeschnitten aus den Zeiten, als die StB (Geheimer Dienst des ehemaliges kommunistisches Staates – Anm. Übers*.) und andere totalitäre Institutionen, welche mit konstruierten Prozessen die Dissentbewegung diskreditieren, zerkleinerten und zum Schweigen bringen sollten, wüteten – heute steht die von unten organisierte Bewegung ähnlichen unfairen (mistigen) Taktiken entgegen.“

Trotz dass alle angeklagten Genoss*innen freigesprochen wurden, sehen wir nach drei Jahren der Strafvervolgungen und der Gerichtsprozesse kein Ende der massiven Repression: in der „Operation Fénix“ stehen in diesen Tagen wieder vier von unseren Genossen gegen neue Anklagen mit möglichen Haftstrafen von bis zu 10 Jahren.

Wir solidarisieren uns mit den Genoss*innen,welchen die Fénix Repression traff, trifft und treffen wird und werden deswegen in den folgenden Tagen den Zeitablauf der Fénix Operation im Detail erläutern.

Anarchistischer Widerstand lebt, der Kampf geht weiter!“

 

26.08.2018     Folge 2:     Fénix fängt an.

Wir können alles machen.“ (eine Ermittlerin zu Martin Ignacak)

Heute geht es um die erste Welle der Operation Fenix, welche am 28. April 2015 begann. Am frühen Morgen führte die Polizei in mehreren Wohnungen in der Tschechischen Republik und im sozialen Zentrum Ateneo (in der Stadt Most) Razzien durch. Die Polizei verhaftete elf Personen, viele andere wurden zum Verhör gezogen. Überall wurde mögliches Beweismaterial gesucht und mitgenommen. Unter anderem beschlagnahmten sie viele elektronische Geräte inklusive eines Hauptservers, über den viele antiautoritäre Webseiten gehostet wurden.

Lukas Borl, ein Anarchist, welcher auch am diesen Tag im sozialen Zentrum verhaftet und verhört wurde, beschrieb den Einsatz im Ateneo:

Der Polizeieinsatz im sozialen Zentrum Ateneo in Most passierte am 28.4.2015. Nur ich wurde verhaftet und der Straftaten ‚Gründung, Unterstützung und Propagierung der Bewegung‘ verdächtigt, welche angeblich auf die Unterdrückung der Menschenrechte und Freiheit des Menschen abzielt. Die Polizei begründete das Durchsuchen des Zentrums und mein Verhaften mit dem Verdacht der Zugehörigkeit zu SRB (Netzwerk Revolutionärer Zellen). Weil allerdings die Beweise fehlten, wurde ich am folgenden Tag entlassen. Die Polizei entzog uns vor allem Handys, Klamotten, Sportgeräte, Computer, Publikationen und alles andere, was den betrieblichen und fortbildendem Zwecke des sozialen Zentrums Ateneo dient. Die Wegnahme der Sachen komplizierte weitere Tätigkeiten, trotzdem läuft Ateneo weiter. Wir werden natürlich alle diese Sachen zurückhaben wollen. Manche von den sind auch gar nicht meine, sondern das gesamte Zentrum teilt sie. Der Einsatz schadete also einer breite Gruppe von Menschen: Kinder, welche hier ihre Freizeit verbringen, Menschen aus der Nachbarschaft, die hier lernen, bis hin zu den kulturellen und aktivistischen Kollektiven.“

Eine andere betroffene Person erzählte über dem ersten Tag der „Operation Fénix“:

Etwa zehn in Zivil gekleidete Polizisten schleppten mich von der Wohnung meiner Freunde zu meinem Haus weg. Ich wurde gefesselt, mein Haus war von weiteren vierundzwanzig Einsatzpolizisten mit Maschinenpistolen umgeben. Sie durchsuchten mein gesamtes Haus und klauten mir viele wichtige Sachen (…). Am folgenden Tag, nach der Nacht in der Zelle im Knast, versuchten sie mich zum Aussagen zu zwingen. Essen bekam ich nicht. Ich wurde ohne Anklage entlassen. Sie schmissen mich auf die Straße, 250 km weit weg von meinem Zuhause, ohne Handy.“

Viele Genoss*innen waren zur DNA-Abnahme und zur Abnahme von Fingerabdrücken gegen ihren Willen gezwungen worden. Am Ende des Tages klagte die Polizei sechs Menschen tateinheitlich wegen der Vorbereitung eines terroristischen Anschlags gegen einen Panzerzug, welcher militärische Ausrüstung transportierte, an. Drei Menschen von ihnen kamen in den U-Knast: Petr Sova, Martin Ignacak und Ales Koci.

Von der Polizei wurde ein Informationsembargo verhängt, „trotz dessenstartete die sensationswillige Jagd der Medien noch am gleichen Tag. Erste Informationen zu dem Tag zeigte der öffentlich-rechtliche Fernsehsender Ceska Televize (CT).

Später schrieb Martin Ignacak aus dem Knast über die mediale Rolle innerhalb der „Operation Fénix“:

Die Desinformationen und die Nachredekampagne sind eine imposante Veranschaulichung der ‚Unabhängigkeit‘ der Medien. Präsentation von Teilinformationen, das ganz grundlose Ängstigen der Öffentlichkeit – typisches Beispiel der Zusammenarbeit von repressiven Institutionen und den ‚unabhängigen‘ Medien. Auch durch die Medien wurden wir diskreditiert, von Anfang an verurteilt. Aber nicht nur wir: auch unsere Verwandten und Familien.

Die Repression, der Medienhype und die Ermittlungen dauerten lange an. In den kommenden Folgen wird es deswegen um die nachhaltige, dauerhafte Repression rund um die „Operation Fénix“ gehen.