Martin Marggraf macht Sommerferien – ausgebüxt aus dem Knast

Vor Kurzem haben wir erfahren, dass Martin Marggraf, Gefangener aus Neumünster, nicht mehr im Knast sitzt. Allerdings nicht, weil er entlassen wurde, sondern weil er abgehauen ist. Die Zustände in der JVA Neumünster waren für ihn nicht mehr aushaltbar. Zur Erinnerung: Martin war ein Gefangener, der die Zustände hinter Gittern nicht einfach hingenommen hat, sondern sich wehrte. So verweigerte er zum Beispiel im Oktober 2018 die Arbeit, weil ihm Lockerungen verwehrt wurden. Dieser Streik führte aber nicht dazu, dass auf seine Forderungen eingegangen wurde, im Gegenteil: Martin wurde durch die JVA psychiatrisiert und für alkoholsüchtig erklärt, wodurch u.a. eine vorzeitige Entlassung (Verkürzung auf 2/3 der abgesessenen Strafhaft) verhindert wurde. Am 12.06 erfuhren wir nun, dass Martin der JVA den Rücken gekehrt hat.  

„Ich hab jetzt noch 6 Wochen bis Strafende und immer noch keinerlei alleinige Ausgänge. Ich wollte ja damals auf 2/3 entlassen werden – das konnte ich voll vergessen. Die Abteilungsleiterin Frau Gottwald hatte meinem Anwalt, der für mich Freigang beantragte, u.a. geantwortet, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Lockerungen missbrauchen würde. Gelogen ist auch, dass ich das Angebot der Wohnungsberatung nicht wahrgenommen habe. Ich war dort sehr wohl und man sagte mir, ohne alleinige Ausgänge ist das nahezu unmöglich. Weiterhin ist das Argument, ich hätte bis jetzt keinen Begleitausgang zur Wohnungsbesichtigung beantragt ein schlechter Witz. Meinen letzten Begleitausgang hatte ich am 28.01, dann noch einen Sonderausgang mit dem Anstaltspastor am 06.03, damit ich überhaupt mal rauskomme. Der Personalmangel lässt Ausgänge nämlich momentan kaum zu, vom häufigen Einschluss mal ganz abgesehen. Zu guter Letzt hat Frau Gottwald eine grottenschlechte Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft geschrieben, in der sie dringend Führungsaufsicht empfiehlt und noch einmal richtig übertrieben alles ins Negative zieht.
Es erreichte mich am Tag meiner Flucht ein Brief vom Landgericht mit Termin zur Anhörung zwecks Klärung der Führungsaufsicht und eine Kopie ihrer Ausführungen. Ich war echt schockiert, deshalb musste ich auch erstmal raus da. Es war einfach alles zuviel.“
        
Martin Marggraf war der JVA als rebellischer Gefangener offensichtlich ein Dorn im Auge. Wer sich hinter Gittern gegen die Zustände wehrt und sogar bereit ist, die Zwangsarbeit zu verweigern, wird oft mit massiver Repression konfrontiert.
„Meine Vermutung ist, dass der repressive Umgang mit mir eine Standardbehandlung von Leuten ist, die sich beschweren und die Zustände nicht einfach hinnehmen.“, so Martin.
Wahrscheinlich wurde Martin also nicht vorzeitig entlassen bzw. hat keine Lockerungen bekommen, weil er bereit war, für seine Forderungen zu kämpfen. 
 
Aber auch Gefangene, welche die Füße still halten und sich nicht wehren, müssen mit Repressalien rechnen. 
Knast ist ein Herrschaftsinstrument des Staates und dafür geschaffen, die eh schon Unterdrückten im Zaum zu halten. Gefangenen soll bewusst gemacht werden, dass es kein Entkommen aus der (sozialen) Situation gibt. Schon vor der Knastzeit waren viele Gefangene in der hierarchischen Ordnung der Gesellschaft ganz weit unten angesiedelt. Knast ist ein Instrument, um eben dieser Klasse zu zeigen, dass sie aus ihrer Position auch nicht heraus kann: sie soll zum Stillschweigen gebracht und kleingehalten werden, damit auch bloß kein Widerstand von ihr ausgehen könnte. Somit wird schon oft präventiv bestraft, um einen Widerstand der untersten Klasse gar nicht erst möglich zu machen. 
 
Martin musste in der Vergangenheit viel Repression einstecken, so wurde zum Beispiel auch der Briefverkehr zwischen ihm und uns seit Januar 2019 unterbunden. Aber nicht nur wir hatten keine Kontaktmöglichkeiten mehr zu ihm. Selbst die Post seinen Anwalts hat er letztendlich nicht mehr bekommen.
„Ich habe nicht ein einziges Mal mit irgendwem Stress gehabt oder zum Beispiel irgendwas konsumiert, was im Knast verboten ist. Andere, die teilweise völlig besoffen sind, bekommen Ausgänge, ich hingegen konnte mich völlig angepasst verhalten und durfte trotzdem nicht raus. Für mich gibt es dafür nur zwei Erklärungen: Willkür der (Teilanstalts-) Leitungen oder eben Repression, weil ich denen zuviel gemeckert habe.“
 
Weil Martin keine Lockerungen oder Ausgänge erhielt, konnte er sich auch nicht um eine Wohnung außerhalb der Anstaltstore kümmern. Das heißt, er wäre ohne Wohnung entlassen worden – also, wie viele Gefangene auch, direkt in die Obachlosigkeit.  
       
„Da es mir mit den Spielchen reicht und ich mal Urlaub brauchte, bin ich am 11.06 im Begleitausgang abgehauen und untergetaucht. Den Rest sitze ich dann im Winter ab. Ihr glaubt gar nicht, wie herrlich es ist, mal Ruhe zu haben und vernünftiges Essen!“
 
Wir freuen uns, dass es Martin gut geht und er Sonne und leckeres Essen genießen kann. Zu den anderen Gefangenen in Neumünster haben wir erstmal wieder Kontakt herstellen können. Wir werden demnächst noch einmal berichten. Allerdings kann es jederzeit wieder sein, dass der Kontakt abbricht, weil der JVA wieder Wege einfallen, unsere Kommunikation zu unterbinden. Eure Solidarität mit den Gefangenen ist deswegen mehr als gefragt! Schreibt ihnen gerne Botschaften und Grüße – so kann die Isolation für einen kurzen Moment durchbrochen werden.
 
Wir werden außerdem demnächst über den Neubau Haus B in der JVA Neumünster berichten – natürlich, wie immer, mit uns bekannten Knastprofiteur*innen.
 
Freiheit für Martin, Freiheit für alle !
Für die Abschaffung der Knäste!