Sehr geehrte Damen und Herren,
im September 2016 mussten wir feststellen, dass einen erheblichen Teil der Produkte, welche Gefangene unter dem Sozial- und Lohndumping (1-2 Euro die Stunde ohne Einbezug in das Sozialversicherungssystem) produzieren, Tegeler Justizvollzugsbeamt*innen für sich selbst herstellen lassen. Alles, was sie gebrauchen oder ,,draußen“ gut verkaufen können, klauen sie. Eingeweihte bezeichnen das Selbstbedienungssystem der Beamt*innen als, “Tegeler Ringtausch“: der Polstermeister entwendet für die Sanitäterin zwei Matratzen, die ihr vom Fahrdienst nach Hause gebracht werden – dafür erhält der Polsterer eine Tüte Medikamente für sich und seine Vereinskollegen im Sportclub. Der Umfang des Schadens wird Expert*innen zufolge pro Jahr auf einen fünf- bis sechsstelligen Euro-Betrag geschätzt.
Dank des Engagements zwei Gefangener aus der JVA Tegel konnte der Skandal an die breite Öffentlichkeit getragen werden: am 13.09.2016 berichtete das Reportage-Magazin „Frontal 21“ (ZDF), auf welche Weise in der JVA Tegel die Klau- und Schmuggelwirtschaft funktioniert. So berichtete zum Beispiel ein Gefangener, dass Mitarbeiter*innen der JVA seit Längerem Waren aus der Haftanstalt geschmuggelt und verkauft, sowie ähnlich wie ein Pizzaservice Bestellungen von Gefangenen entgegen genommen und ausgeführt haben. Ein Ex- und Import-Geschäft als Nebenerwerbsquelle einiger Justizwachtmeister*innen. Um zu beweisen, dass die Klau- und Schmuggelwirtschaft nichts Erfundenes ist, schmuggelt ein Gefangener in dem „Frontal 21“ Bericht zusätzlich ein Mainzelmännchen durch einen Beamten aus der JVA Tegel raus und wieder rein.
Und die Reaktion auf die Bediensteten, welche sich durch die Klau-und Schmuggelwirtschaft ständig bereicherten? Eigentlich keine. Lediglich gegen zwei Beamte wurde von der Staatsanwaltschaft her ermittelt. Genau diese Ermittlungen wurden nun eingestellt! Der Justizsenator Dr. Dirk Behrendt freut sich natürlich: „Dass der Verdacht gegen Bedienstete ausgeräumt wurde, beruhigt mich. Trotz umfangreicher Ermittlungen und Zeugenvernehmungen hat sich der Verdacht nicht erhärtet“.
An dieser Stelle wollen wir hinterfragen, was genau der Justizsenator mit „umfangreichen Ermittlungen und Zeugenvernehmungen“ meint?
Unseren Angaben nach haben sich bei der Polizei, angeregt durch die damalige Berichterstattung von „Frontal 21“, mehrere Zeug*innen gemeldet. Trotz dessen wurden größtenteils alle Zeug*innen, welche eine Klau- und Schmuggelwirtschaft seitens der Bediensteten bestätigt hätten können, nicht vernommen: darunter viele Gefangene, engagierte innerhalb der GG/BO aber auch diverse Pressevertreter*innen, etwa von „ZDF“ oder „Stern“.
All diese Zeug*innen hätten umfangreiche Aussagen machen können, welche zur Beweislast relevant gewesen wären.
Stattdessen wurden die Vorwürfe beiseite gelegt, Zeug*innen nicht vernommen, das Verfahren eingestellt: das Thema soll anscheinend ruhen.
Derzeitig schmückt sich Dr. Dirk Behrendt damit, den Berlinale Film „Das schweigende Klassenzimmer“ am 23. Februar 2018 in der JVA Tegel vorführen lassen zu wollen. Dadurch könne wohl das Leben in Haft dem Leben in Freiheit ein Stück weiter angeglichen werden, so Behrendt gegenüber der Berliner Zeitung.
Ein schlechter Witz? Während Gefangene in der JVA Tegel seit Jahren für Resozialisierung kämpfen müssen und im drastischsten Fall dafür sogar Meuterei Vorwürfe einkassieren, Personal, Behandlungs- und Vollzugspläne fehlen und einzelne Teilanstalten schon lange nichts mehr mit einer menschenwürdigen Unterbringung zu tun haben, möchte Dr. Dirk Behrendt die Resozialisierung nun dadurch gewährleisten, dass ein Berlinale Film im Knast gezeigt wird?
Wenn dies der Fall sein sollte, strebt Dr. Dirk Behrendt nicht eine Politik an, welche die Würde von Gefangenen beachtet oder ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft anstrebt. Vielmehr erinnert sie an Zuckerbrot und Peitsche: Bestrafung der Gefangenen, wenn sie für ihre Rechte kämpfen und süßes Gebäck oder eben ein Berlinale Film für die Inhaftierten, damit sie ihre Füße still halten.
Gefangene aus der JVA Tegel zeigen sich über dieses Konzept entrüstet. Zum einen, weil sie seit Jahren fordern, dass ihre Haftstrafe nach dem Konzept der Resozialisierung und nach menschenwürdigen Bedingungen gestaltet wird. „Es ist eine Farce, dass eine Filmvorführung das Leben hier drinnen dem Leben draußen angleichen soll, wo doch sonst nichts dafür getan wird“, so ein Gefangener aus der JVA Tegel. Zum anderen, weil die Ausstrahlung eines Berlinale Films in der JVA Tegel nicht eine neue Idee von Dr. Dirk Behrendt ist.
Schon vor etwa 4 Jahren haben Gefangene aus der Redaktion des Lichtblicks in der JVA Tegel die Vorführung eines Berlinale Films erwirkt und sogar bei der Erstellung des Films mitgearbeitet. Selbstorganisiert, von Gefangenen aus und in Koorperation mit der Berlinale Organisationsstruktur. Einen Dr. Dirk Behrendt braucht es dafür also nicht.
An dieser Stelle wollen wir Ihnen, sehr geehrter Herr Justizsenator lieber vorschlagen, dass sie den Forderungen der Gefangenen endlich nachkommen:
Sofortige Schließung der Teilanstalt II, weil dieses Haus nichts mit einer menschenwürdigen Unterbringung zu tun hat.
In der JVA Tegel sind regelmäßige Vollzugsplankonferenzen nötig, um resozialisierungsfreundliche Vollzugs-und Behandlungspläne schreiben zu können. Diese sind eh von Gesetz her vorgesehen und daher gibt es auch keine Begründung, sie unregelmäßig, manchmal auch gar nicht stattfinden zu lassen. Dies ist allerdings leider gerade der Status Quo – zum Nachteil der Gefangenen, welche im Vollzug nur absitzen und keine Chance auf eine Wiedereingliederung bekommen.
In diesem Zusammenhang müssen Gefangene gelockert und in den offenen Vollzug verlegt werden. Der Verwahrvollzug gehört umgehend abgeschafft!
Allen Gefangenen, welche in Haftanstalten in Brandenburg verlegt werden wollen, soll diese Möglichkeit umgehend eingeräumt werden.
In der JVA Tegel läuft so vieles schief und nicht im Zuge der Resozialisierung. Auch die etlichen Suizide, der vor Kurzem durch einen Gefangenen gelegte Zellenbrand oder die Flucht eines Gefangenen am 07.02.18 können als Indiz gelesen werden, dass in diesem Verwahrvollzug, der lediglich auf wegsperren ausgelegt ist, von menschenwürdigen Haftbedingungen und einer Angleichung an die Lebensverhältnisse „draußen“ nicht die Rede sein kann.
Trotz dessen hält sich die JVA – auch wenn Resozialisierung oberstes Vollzugsziel ist, es in der JVA Tegel aber offensichtlich nicht nachgegangen wird, wird die JVA juristisch nicht angefochten.
Mit der Umsetzung des geltendem Rechts hat die JVA Tegel also wenig am Hut – dementsprechend ist nun zwar juristisch widerlegt, dass korrupte Bedienstete in der JVA Tegel einen Tausch- und Schmuggel Ring praktizieren, allerdings sagt dies wenig über die Realität hinter den Mauern aus.
Wir haben in der Vergangenheit des Öfteren versucht, die breite Öffentlichkeit über die miserablen Zustände in der JVA Tegel zu informieren – juristisch wie aber auch praktisch gesehen ist nichts passiert. Pressemitteilungen wurden versandt, Interviews gegeben, Videos veröffentlicht: an der Realität, den Lebens-, Arbeitsbedingungen und Resozialisierungschancen der Gefangenen hat das bis jetzt leider nichts geändert.
Im Gegenteil: selbst wenn juristisch, wie in diesem Beispiel gegen korrupte Bedienstete vorgegangen wird, werden Verfahren einfach eingestellt, obwohl Zeug*innen beweisen könnten, dass diese Anstalt alles andere als rechtmäßig, moralisch und menschenwürdig vertretbar ist.
Wenn es nicht im Interesse des Staates ist, werden Wahrheiten vertuscht, Verfahren eingestellt und Beweismaterialien unter den Tisch gekehrt.
Wie viele Gefangene müssen ihre Zellen noch in Brand setzen oder sich versuchen umzubringen, bis realisiert wird, dass dieser Knast nicht mehr haltbar ist?
Wir finden, es sind schon längst zu viele.